Dr. Simone von Sengbusch, Dr. Hansjörg Mühlen
Telemedizin: Update 2020
Die Grundlage der digitalen Transformation im Gesundheitswesen ist die Sammlung, Übertragung und Analyse von Daten; sie ist damit unmittelbar verbunden mit telemedizinischen Anwendungen. Kurzfristige Updates sind sinnvoll, um mit der rasanten Entwicklung dieses Bereichs nur annähernd Schritt halten zu können.
In manchen Vorträgen und Artikeln gewinnt man den Eindruck, als würde die diabetologische Betreuung von Patienten durch Diabetologen/innen und Diabetesberater/innen kurz davorstehen, von Apps, Telemedizin und künstlicher Intelligenz abgelöst zu werden. Dieser Eindruck wird geprägt sowohl von den erstaunlichen Möglichkeiten der Musteranalyse als auch der Auswertung und Vernetzung großer Datenpools durch Großrechner. Die Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz (KI) zum Unterstützen der Therapieführung des Diabetes, aber auch zur Diagnosefindung und Therapieoptimierung sind sicher nicht zu unterschätzen – allerdings bleibt die Interaktion mit den Patienten im persönlichen Gespräch die Basis des ärztlichen Handelns.
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen gewinnt durch politischen Druck wesentlich an Fahrt. Vor einem Jahr konnten wir die einzelnen Aspekte der Digitalisierung und der Telemedizin noch separieren und gesondert diskutieren. Heute gibt es bereits Apps und Lösungen, die nahezu alle Bereiche der Digitalisierung und der Telemedizin integrieren. Es fällt immer schwerer, Apps und Anwendungen einem Teilbereich zuzuordnen: Eine Tagebuch-App entwickelt sich zur Coaching-Plattform, ein Coaching-Programm zur elektronischen Patientenakte, eine Plattform für die Videosprechstunde wird in ein Praxisverwaltungssystem integriert usw.
Vergütung, Recht, Integration
Wenn die Telemedizin in all ihren Facetten bisher noch nicht in den Praxen und Kliniken angekommen ist, liegt das unter anderem an der nicht ausreichenden Vergütung. Rechtliche Unsicherheit besteht bei der Integration einer Telemedizinsprechstunde in den Praxis- bzw. Kliniksprechstundenablauf – und ebenso bei bestimmten technologischen Anwendungen. Die Mehrzahl der Diabetologen/innen (58 %) war bei der im letzten D.U.T-Report publizierten Umfrage der Meinung, dass die Telemedizin eine bedeutsame Rolle im diabetologischen Behandlungsspektrum einnehmen wird. Voraussetzung ist jedoch das Schaffen einer sicheren Infrastruktur für telemedizinische Anwendungen und die Schulung der daran interessierten Patienten.
Cloudbasierte Datensammlung
Wenn man Digitalisierung in der Medizin zu Ende denkt und alle Vorteile (insbesondere Big-Data-Analyse und KI) nutzen will, kommt man an einer zentralen digitalen Datenspeicherung nicht vorbei. Niemand bezweifelt ernsthaft, dass eine sinnvolle Behandlung von Patienten mit rtCGM, iscCGM und Insulinpumpen nur mit Zugriff auf die gespeicherten Daten möglich ist. Zeitaufwendiges Auslesen der Geräte in der Praxis, das Versenden der Daten als PDF-Dokument durch die Patienten oder das Mitbringen von Ausdrucken kann nur eine vorübergehende Lösung sein, insbesondere, da solche Prozesse und Maßnahmen erhebliche Praxisressourcen verbrauchen.
Der erste Ansatz hierzu sind cloudbasierte Programme zum Datenmanagement von Glukosemonitoringsystemen und Insulinpumpen. „Cloudbasiert“ bedeutet, dass die Daten nicht auf dem Praxis- oder Klinikserver gespeichert werden, sondern dass eine IT-Infrastruktur (Server, Speicherplatz, Software, Rechenleistung u. a.) des Softwareanbieters z. B. in einem europäischen Rechenzentrum genutzt wird. Es gibt in Deutschland aktuell noch Diabetessoftwarelösungen, die auf dem Praxis- oder Klinikrechner direkt installiert sind und dort auch die Daten speichern. Immer häufiger kommen jedoch Cloudlösungen zum Einsatz.
Während vor einem Jahr noch über die Anwendung cloudbasierter Programme und deren Datenschutzkonformität diskutiert wurde, haben diese in Praxen mit technologisch interessierteren Mitarbeitern längst Einzug in die tägliche Arbeitsroutine gefunden. Nach Freigabe der Daten durch die Patienten stehen die Daten der Praxis jederzeit zur Verfügung. Insbesondere bei einer telefonischen oder telemedizinischen Konsultation (z. B. Videosprechstunde, verschlüsseltes Chatprogramm) kann dadurch eine Beratung basierend auf den aktuellen Daten erfolgen.
Aufgrund der einfacheren Programmpflege und der Unabhängigkeit von verschiedenen Betriebssystemen und Computerplattformen werden wahrscheinlich auch andere Anbieter auf cloudbasierte Software umsteigen.
Es sollte diskutiert werden, ob die Kosten für die Softwareprogramme, die allein dem Auslesen von Hilfsmitteln eines Herstellers dienen, im Preis der jeweiligen Geräte enthalten sein müssen.
Der Patient, der einen Account bei einem Softwareanbieter anlegt, schließt mit diesem Anbieter einen Vertrag, erhält eine Aufklärung über die Datenspeicherung, Datennutzung und Erklärungen zum Datenschutz und seinen Rechten, z. B. auf Löschung seiner Daten. Wenn aber eine Praxis oder eine Klinik die Professional-Version derselben Software mit der Option eines Datenaustausches nutzen möchte, wird die Zeichnung eines Dienstleistungsvertrags nötig, der die Leistungen des Softwareanbieters, Dienstleistungsbedingungen, die Kosten, die Aufgaben des medizinischen Zentrums beschreibt und die Datenschutzerklärung enthält. Die Prüfung solcher Verträge muss sorgfältig erfolgen, im Regelfall zusammen mit dem Datenschutzbeauftragen der Praxis oder Klinik.
Datenmanagement mithilfe von Diabetestechnologie ist integraler Bestandteil der Behandlung. Es sollte diskutiert werden, ob die Kosten für die Softwareprogramme, die allein dem Auslesen von Hilfsmitteln eines Herstellers dienen, im Preis der jeweiligen Geräte enthalten sein müssen, also zulasten der Krankenkassen gehen.
Interkollegiales Telekonsil
Die vom Deutschen Ärztetag im Jahr 2015 beschlossene Stärkung der Telemedizin beinhaltete die Verbesserung der interärztlichen Kommunikation (z. B. bei Arztbriefen oder Zweitmeinungsverfahren). Im Bereich der bildgebenden Verfahren gibt es bereits eine ganze Reihe von telemedizinischen Anwendungen. Darüber hinaus ist die innerärztliche Kommunikation bisher eher auf Arztbriefe und Telefonate beschränkt.
Eine erste ernsthafte Anwendung im diabetologischen Bereich ist ein Projekt der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß für ein Telekonsil des Hausarztes mit Fußzentren bezüglich des Diabetologischen Fußsyndroms. Über ein Webportal kann der Hausarzt Formulare und Fotos eines akuten Wundproblems seiner Patienten an seine kooperierende Fußambulanz senden und sich so eine Zweitmeinung oder Behandlungsvorschläge holen. Das Projekt ist so weit fortgeschritten, dass die ersten Gespräche mit Kostenträgern stattfinden.
Videosprechstunde
Die Rahmenbedingungen, die technischen Voraussetzungen und die Honorierung ist in dem Sonderheft „Telemedizin: Chancen in der Diabetologie – ein Leitfaden“ [Zukunftsboard Digitalisierung 2019] ausführlich dokumentiert. Bisher wird eine Videosprechstunde nur von einem kleinen Teil der Praxen angeboten und nur von einem kleinen Teil der Patienten genutzt. Ein Hinweis auf die (zukünftige) Bedeutung der Videosprechstunde ist sicher, dass die CompuGroup Medical, als größter Anbieter von Praxisverwaltungssystemen (PVS), das Videoportal elVi® (elektronische Visite, nun „CGM elVi®“: CompuGroup Medical elVi) gekauft hat und beginnt, dieses in seine PVS zu integrieren.
Obwohl sich die Videosprechstunde auch in Spezialambulanzen der Kliniken für die Versorgung anbietet, ist die Durchdringung mit dieser Beratungsform aufgrund fehlender Infrastruktur und vor allem Abrechnungsoptionen noch sehr gering. Abgesehen von einzelnen Modellprojekten, z. B. dem vom Innovationsfonds geförderten Projekt „Virtuelle Diabetesambulanz für Kinder und Jugendliche“ (ViDiKi) [Frielitz 2019, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein], bedarf es eines Anschubs dieser neuen und ergänzenden Beratungsform.
Telemonitoring
Die gängigen Apps im diabetologischen Bereich erfassen nur eine begrenzte Art und Anzahl von Daten (Glukosewerte, Daten von Insulinpumpen) und lassen in der Regel nur eine einseitige Kommunikation zu (Speicherung in der Cloud, maximal Zugriff u. a. der Ärzte auf die Daten). Alle weiteren relevanten Daten zur Behandlung der Patienten werden von den Ärzten mühsam aus diversen Quellen (Labor, Arztbrief, …) erhoben. Auf viele wichtige Daten wie Ernährung und Bewegung oder Belastung bei Diabetischem Fußsyndrom gibt es keinen fundierten Zugriff.