Lisa Schütte, Dr. Jens Kröger, Dr. Katrin Kraatz

Diabetes-Technologie … und die Menschen

Ohne Menschen ist Diabetes-Technologie sinnlos – aber Diabetes-Technologie ist für Menschen mit Diabetes sinnvoll. Dabei beeinflussen sie sich gegenseitig. Menschen entscheiden selbst – unter Berücksichtigung vieler Faktoren – über die Technologien, die sie einsetzen möchten. Werden Technologien genutzt, können sie Einflüsse auf diejenigen ausüben, die sie nutzen. Verhaltensänderungen können z. B. eine Folge sein, aber auch Sicherheit und Lebensqualität können sich verändern. Der „Human Factor“ spielt also eine große Rolle.

Als Mensch mit Diabetes kann man in der heutigen Zeit vom technologischen Fortschritt in der Diabetologie profitieren, denn die meisten Entwicklungen zielen darauf ab, das Leben von Menschen mit Diabetes zu vereinfachen, den Menschen ein nahezu normales Leben zu ermöglichen. Diese Fortschritte gab es schon immer. Nach den Spritzen kamen die Pens, dann die Pumpen. Blutzuckermessungen wurden immer schneller, brauchten weniger Blut und wurden einfacher zu handhaben. In den letzten Jahren wurde die Digitalisierung auch in der Diabetologie immer präsenter. Heute sprechen wir von kontinuierlicher Glukosemessung, Closed-Loop- und AID-Systemen und Algorithmen. Wie viel von dem aktuellen Fortschritt ein Mensch mit Diabetes in seiner eigenen Therapie mit einbeziehen möchte, war und ist nach wie vor ganz unterschiedlich.

Individualität ist maßgebend

Denn mehr Technologie ist nicht automatisch besser. Noch immer ist die Individualität jedes Einzelnen maßgebend für seine Therapie. Die Diabetes-Therapie sollte perfekt auf den jeweiligen Menschen, seine Stoffwechsellage und seinen Alltag abgestimmt sein. Dabei ist wichtig zu erkennen, dass nicht jeder Sensor, jede Pumpe, jedes System zu jedem Menschen passt. Manchmal ist es ein langer Prozess, die richtige Therapie zu finden, und manchmal ist das Neueste nicht das Beste für jedermann.

Manchmal ist es ein ­langer Prozess, die ­richtige Therapie zu ­finden, und manchmal ist das Neueste nicht das Beste für jedermann.

Es ist deswegen mehr als wünschenswert, dass viele verschiedene Produkte von verschiedenen Anbietern auf dem Markt existieren, sodass jeder Mensch mit Diabetes die Möglichkeit hat, das für ihn und seine Bedürfnisse am besten geeignete System zu finden und schließlich auch zu bekommen. Auch das funktioniert manchmal nicht im ersten Anlauf.

Einfluss-Faktoren

Es gibt viele Punkte, die die Wahl des passenden Systems beeinflussen. Zuerst muss sich der Mensch mit Diabetes einige Fragen selbst beantworten:

  • Funktioniert meine Diabetestherapie für mich so am besten, wie es gerade ist? Falls ja, wäre ein Umstieg nicht zwingend erforderlich.
  • Möchte ich jedoch etwas ändern, was möchte ich dann?
  • Wie sehen meine Therapieziele aus?
  • Wie viel Technologie möchte oder brauche ich?
  • Passt dieses System mit seinen Sensoren, Kathetern und Einstellungs-Möglichkeiten zu mir und meinen Alltagsanforderungen?
  • Hat das System alle Funktionen, die ich im Alltag benötige?
  • Ist die Bedienung für mich verständlich und umsetzbar? Gefällt mir das System sowohl funktional als auch optisch?
  • Und zu guter Letzt: Bin ich selbst offen für Neues? Bin ich bereit, Neues zu lernen, meinen Diabetes eventuell anders zu betrachten? Und bin ich bereit, ein Stück Verantwortung an die Technik abzugeben?

Besseres Management, höhere ­Lebensqualität

Genau mit diesen Fragen haben sich Experten bereits in einigen Studien beschäftigt. So wurden zum Beispiel in einer Studie von Telo et al. [Telo 2015] Jugendliche mit Typ-1-Diabetes und ihre Eltern gefragt, wie sie ihr Leben und ihr Dia­betes-Management ohne und mit kontinuierlichem Glukosemonitoring (CGM) bewerten. Verglichen wurden dabei 120 Jugendliche, die gern mit einem kontinuierlichen Glukosemonitoring beginnen wollten, und 238 Jugendliche mit Standardtherapie. Bei den Jugendlichen, die ein CGM-System nutzen wollten, berichteten die Eltern über ein besseres Diabetes-Manage­ment, weniger Diabetes-spezifische Familienkonflikte und eine höhere Lebensqualität.

Höheres Sicherheitsgefühl

Auch die Sicherheit spielt eine Entscheidung für oder gegen ein System. Litchman et al. [Litchman 2017] untersuchten in einer Zufallsstichprobe von 22 älteren Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes anhand von zwei Online-Umfragen den Einfluss von Real-Time-CGM (rtCGM) auf das Sicherheitsempfinden der Probanden.

Das Nutzen eines rtCGM-­Systems kann das Sicherheitsgefühl erhöhen.

In der ersten Umfrage wurden Menschen befragt, die aktuell ein rtCGM-System einsetzten, in der zweiten Umfrage einen Monat später Menschen, die aktuell kein rtCGM-System benutzten, aber gern eins benutzen wollten. Es zeigte sich in dieser Untersuchung, dass das Nutzen eines rtCGM-Systems das Sicherheitsgefühl erhöhte, weil es half, Hypoglykämien zu verhindern. Außerdem steigerte sich durch ­rtCGM das Wohlbefinden.

Ausprobieren ist wichtig

Das Probetragen von Systemen ist nicht immer leicht, aber den Menschen sollte ermöglicht werden, so viele Systeme und Produkte Probe tragen zu können wie möglich. Denn ob es wirklich passt, merkt man oft erst im praktischen Versuch und auf etwas längere Sicht.

Auch für Menschen, die nicht auf so viel Technologie in ihrem Diabetes-Management setzen möchten oder können, muss es aktuelle Angebote und Möglichkeiten geben. Technologie ist kein Allheilmittel und birgt nach wie vor einige Hürden. Finanzielle, sozioökonomische, ethnologische und gesundheitliche Aspekte sowie Alter und Geschlecht können dabei Barrieren bilden.

Ansichten der Menschen entscheidend

Die Wünsche an ein künstliches Pankreas erfragten Barnard et al. [Barnard 2015]: 266 Menschen mit Typ-1-Diabetes und Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes füllten eine Online-Umfrage über die künftige Nutzung und die Erwartungen an ein künstliches Pankreas aus. Die Mehrzahl der Teilnehmenden (n = 240) wollte gern ein künstliches Pankreas verwenden, etwa die Hälfte aber nur in der Nacht. Als Gründe dagegen wurden die Größe eines solchen Systems, die Sichtbarkeit und die mangelnde Effektivität genannt. Gründe dafür waren der Wunsch nach geringeren Belastungen durch den Diabetes, bessere psychosoziale Ergebnisse und eine verbesserte Lebensqualität. Die Autoren schlussfolgern, dass neben der Technologie die Ansichten der Menschen beim Entwickeln solcher Systeme entscheidend sind – nur dann werden solche Systeme den Bedürfnissen der Nutzer gerecht und helfen ihnen, ihre Ziele zu erreichen.

Mehr Funktionen gewünscht

In der Untersuchung von Gildersleeve et al. [Gildersleeve 2017] wurden die Erwartungen an ein künstliches Pankreas ebenfalls bei Eltern von Kindern mit Typ-1-Diabetes, aber auch von ihren Behandlern erfragt. Vorgeschlagen wurde zum Beispiel, dass Eltern, weitere Betreuungspersonen und das Kind Passwörter erhalten, um den Zugang zu jeder Funktion des künstlichen Pankreas zu kontrollieren. Die Funktionen, die die Kinder selbst bedienen können, sollten altersabhängig variabel sein. Außerdem wünschten sich die Befragten ein Höchstmaß an Anpassungsmöglichkeiten für verschiedene Funktionen und Alarm-Einstellungen. Sprachbefehl- und Sprachnachrichten-Funktionen standen ebenfalls auf der Wunschliste, wie auch Informationen über Notfallkontakte, Behandlungsanweisungen für das Kind und das Pflegepersonal. Per Website sollte eine Fernüberwachung möglich sein, ebenso eine animierte CGM-­Glukose-Verfolgung. Spielerische Elemente für das Verstärken von Verhaltensweisen, die sich positiv auf das Diabetes-Management auswirken, wurden ebenfalls genannt.

Wunderbar – und überfordernd

Die Systeme selbst schaffen einerseits eine völlig neue Bandbreite an Therapieoptionen, können aber auch überfordernd wirken. Für den einen sind die neuen Daten wunderbar, um das eigene Diabetes-Management zu prüfen, zu analysieren und es schließlich zu optimieren. Aber diese Datenflut kann auch überfordern. Man hat die Daten schließlich nicht nur, sondern sollte sie im besten Fall auch verstehen und auswerten können. Die Annahme, dass man selbst weniger Aufwand mit seiner Krankheit hat, je mehr Technologie im eigenen Diabetes-Management zum Einsatz kommt, ist leider ein Trugschluss. Zwar werben gerade viele neue Systeme damit, dass der Diabetes in Zukunft weniger Zeit im Alltag in Anspruch nimmt, doch muss man sich zumindest am Anfang sehr genau mit der Technik befassen. Denn nur, wer sie auch versteht, korrekt bedienen kann und sich auch von eventuell vielen individuellen Einstellungen und Alarmen nicht abschrecken lässt, wird auch im Alltag mit diesen Systemen gute Ergebnisse erzielen können. Ist das der Fall, so bieten die neuen Systeme durchaus viele Vorteile. Noch nie war es so einfach, so schnell Probleme in der eigenen Diabetestherapie aufzudecken und anzugehen. Sensoren, die kontinuierlich Glukosedaten an Empfänger, Smart­phone und Smartwatches senden, sind eine enorme Erleichterung im Alltag. „Nur mal schnell die Glukosewerte kontrollieren“ war nie so einfach. Die Algorithmen können dabei nicht nur gut unterstützen, sondern bei der richtigen Anwendung ebenfalls vieles im Alltag erleichtern und helfen, die Zeit für das eigene Diabetes-­Management zu reduzieren.

Noch nie war es so ­einfach, so schnell ­Probleme in der ­eigenen Diabetes-­Therapie ­aufzudecken und ­anzugehen.

Dafür muss man der neusten Technik jedoch genug Vertrauen entgegenbringen. Nicht jedem fällt es leicht, einige der Aufgaben an die Technologie abzutreten und selbst weniger zu interagieren als zuvor. In diesen Momenten ist es besonders wichtig, dass die genutzte Technologie nicht nur gut angewandt, sondern auch verstanden wird.

Technologie verändert Verhalten

Ist Letzteres der Fall, kann die Technologie das Verhalten auch positiv beeinflussen, wie ein Vergleich von Nutzenden eines Closed-­Loop-Systems mit Nutzenden einer sensorunterstützten Pumpentherapie (SuP) ergab [Emami 2017]. Emami et al. werteten dafür 1942 Closed-­Loop-Tage und 2530 SuP-Tage aus. An den Closed-­Loop-Tagen gaben die Menschen mit Typ-1-Dia­betes pro Tag durchschnittlich einen Bolus weniger ab – vor allem, weil weniger Korrektur­boli erforderlich waren. Der Kohlenhydratgehalt der Zwischenmahlzeiten war unter Closed-Loop stärker positiv korreliert mit der glykämischen Variabilität, der mittleren Sensorglukose und dem HbA1c-Wert als unter der SuP. Für die Autoren ergibt sich daraus die Vermutung, dass veränderbare Verhaltensmuster wesentliche Faktoren für die Glukosekontrolle sein könnten.

Eigene Erfahrung bestätigt Theorie

Wie sich das Herantasten an neue Technologien im Diabetes-Management gestalten kann, ergibt sich aus dem Bericht einer der Autorinnen dieses Beitrags mit langjährigem Typ-1-Dia­betes, Lisa Schütte: „Ich habe mich einer Pumpentherapie auf Jahre verweigert. Es hätte meiner Diabetestherapie sicher gutgetan, aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, eine Insulinpumpe permanent am Körper zu tragen. Zudem beschäftigte ich mich zu diesem Zeitpunkt kaum mit meinem Diabetes und war wenig bereit, mehr Zeit für mein Diabetes-Management zu opfern. Als ich dann zum Probetragen einer Pumpe überredet wurde, ging dieser Versuch auch nach hinten los. Meine Diabetes-Therapie verbesserte sich zumindest kein Stück und ich gab die Pumpe nach wenigen Monaten zurück. Erst als ich Glukosesensoren probierte und begeistert über die Erleichterung im Alltag war, stieg auch mein Interesse an Insulinpumpen. Schnell hatte ich mir eine ausgesucht: eine Patch-Pumpe ohne Schlauch. Das klang für mich nach dem richtigen Kompromiss. Im Alltag stellte ich schnell fest, dass diese Pumpe und ich nicht harmonierten. Meine Diabetologin half mir, recht schnell auf ein anderes, hoffentlich besser geeignetes, System umzusteigen. Dieses Mal war ich sogar bereit für eine Pumpe mit Schlauch.

Es ist wichtig, dass die genutzte ­Technologie nicht nur gut angewandt, sondern auch verstanden wird.

Mittlerweile habe ich fast meine ganze Diabetes-Therapie digitalisiert: der Sensor am Arm, die Pumpe am Bauch und mein Smartphone, über das ich alles steuern und bedienen kann. Die größte Veränderung war, dass ich schließlich bereit war für Neues. Zuerst musste ich meinen Diabetes akzeptieren und mich wieder mehr mit ihm beschäftigen. Je mehr ich das tat, umso größer wurde mein Interesse an anderen Therapie-Optionen. Heute analysiere ich regelmäßig meine Daten, die durchaus viel und erschlagend wirken können. Aber mit etwas Übung kommt man schnell in die Materie hinein. Ich ziehe viele Vorteile aus den Daten-­Analysen und hatte noch nie einen so gut eingestellten Diabetes. Mittlerweile ist die Arbeit mit meinem System schnell und routiniert, aber zu Beginn musste ich eine Menge lernen. Trotz 20-jähriger Diabetes-Laufbahn war es teilweise so, als würde ich eine neue Krankheit erlernen müssen. Besonders schwer war für mich das Abgeben der Verantwortung an das System. Doch jedes Mal, wenn ich selbst Hand anlegte, ging etwas schief. Ich musste lernen, dass das System zwar manchmal etwas länger braucht und manches anders angeht, als ich es tun würde, aber das unter dem Strich gute Zielwerte zustande kamen.“

Profitieren Menschen mit ­Typ-2-Diabetes gleichermaßen von ­Diabetes-Technologie?

Obwohl der Schwerpunkt bei der Entwicklung von Diabetes-Technologien wie Dosierhilfen, kontinuierlichen Glukose-Überwachungssystemen, Insulinpumpen und automatischen Insulin-Abgabesystemen bei Menschen mit Typ-1-Diabetes lag, können auch Menschen mit Typ-2 Diabetes von solchen Systemen profitieren. Menschen mit Typ-2-Diabetes können vor ähnlichen Herausforderungen wie Menschen mit Typ-1-Diabetes stehen, um die empfohlenen Glukoseziele zu erreichen.

Therapiestrategien bei Menschen mit Typ-2-Dia­betes bilden ein schrittweises Vorgehen ab. Beginnend mit Maßnahmen des Lebensstils, dann mit einem oder mehreren oralen Anti­dia­betika bzw. einem GLP-1-Rezeptor­ago­nisten, kann dann mit fortschreitender Erkrankung eine Insulintherapie erforderlich werden. Eine Schätzung des weltweiten Insulin-Bedarfs für Menschen mit Typ-2-Diabetes in den Jahren 2018 bis 2030 deutet darauf hin, dass etwa 15,5 % der Menschen mit Typ-2-Diabetes weltweit eine Insulin-Therapie benötigen, wenn Insulin allgemein verfügbar ist und angemessen eingesetzt wird, um einen HbA1c-Wert unter 7 % zu erreichen [Basu 2019].

Lebensstil-Anpassung

Bei einigen Menschen mit Typ-2-Diabetes hat sich gerade in den ersten Jahren gezeigt, dass die Krankheit durch eine Änderung des Lebensstils in die Remission überführt werden kann. Aus diesem Grund steht bei vielen Menschen mit Typ-2-Diabetes ein individuelles, akzeptiertes und umsetzbares Ernährungs-Management als Grundlage der Therapie im Vordergrund. Der direkte Umgang mit der Erkrankung, in Form einer Steigerung des Empowerments (Selbstbestimmung und Autonomie), kann dabei helfen, die Lebensqualität der Betroffenen zu steigern [Cheng 2021]. Die Software zur Analyse der Glukosedaten könnte daher als Form des Empowerments dabei helfen, das Diabetes-Selbstmanagement und die Adhärenz zu steigern sowie den Diabetes-assoziierten Stress zu senken. Kontinuierliche Glukoseverläufe können hier direkt die Hinweise auf gute, individualisierte Ernährungs- und auch Bewegungsmöglichkeiten darstellen und damit die Akzeptanz auf Dauer fördern.

Bei Menschen mit Typ-2-Diabetes ­bietet z. B. CGM zusätzliche Chancen.

Die Analyse kontinuierlicher Glukosedaten könnte hier auch bei Menschen mit Ernährungs-Therapie und Therapie mit oralen Anti­dia­betika bzw. GLP-1-Rezeptoragonisten mit begleitendem Coaching durch Diabetes-Fachkräfte hilfreich sein. Wenn ich als ein Mensch mit Typ-2-Diabetes sehe, welche Lebensmittel bei mir individualisiert einen günstigen Glukoseverlauf haben, dann kann dabei diese Technologie dazu beitragen, meine Lebensqualität zu erhöhen. Hier ist nur der intermittierende Einsatz von kontinuierlichen Glukose-Messsystemen drei- bis viermal im Jahr erforderlich. In der Praxis ist immer wieder zu erleben, wie Menschen mit Typ-2-Diabetes aufgrund kontinuierlicher Glukosemessungen ihre Ernährung mithilfe von Mahlzeitentests individualisiert und angepasst haben. Das führte dazu, dass sich die Akzeptanz hinsichtlich dauerhafter Ernährungs-Veränderungen erhöhte. Ein Mensch mit Typ-2-Dia­betes beschrieb es einmal folgendermaßen: „Als Koch kannte ich Einfach- und Mehrfach­zucker, aber welchen Einfluss genau meine Ernährung auf meinen Zuckerspiegel hat, ahnte ich nicht.“ Endokrinologen in den USA haben daher der intermittierenden kontinuierlichen Glukosemessung zur Selbsterkenntnis und Therapie-Anpassung auch bei Menschen ohne intensivierte Insulintherapie in einer Übersichtsarbeit eine Wertigkeit beigemessen [Grunberger 2021]. Wir glauben, dass gerade bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und auch bei Hochrisikopatienten hinsichtlich der Entwicklung eines Typ-2-Diabetes hier eine zusätzliche Chance besteht. Studien gibt es hierzu bisher nur wenige, diese werden aber die Grundlage für zukünftige potenzielle Kostenübernahmen der Krankenkassen bilden.

Glukoseüberwachung

Der mit der Blutzuckermessung verbundene Aufwand kann das Engagement der Anwendenden reduzieren. Darüber hinaus schränken „punktuelle“ Glukosemessungen, das Fehlen der Informationen über Glukosetrends oder -variabilität sowie nächtliche und asymptomatische Hypoglykämien den klinischen Nutzen der Blutzucker-Selbstkontrolle bei Menschen mit Typ-2-Diabetes ein. Probleme wie relevante Hypoglykämien betreffen zwar vornehmlich Menschen mit Typ-1-Diabetes, können aber auch bei Menschen mit Typ-2-Diabetes relevant sein, besonders wenn zusätzlich kardiovaskuläre Erkrankungen bestehen. Gerade aufgrund dieses Aspekts sind rtCGM-Systeme bei Menschen mit Typ-2-Diabetes und intensivierter Insulintherapie (ICT) zur Verordnung auf Krankenkassen-Kosten bei Nichterreichen des individuellen Therapieziels möglich.

Apps und digitale ­Gesundheitsanwendungen

Das Spektrum der neuen Technologien reicht aber noch weiter. So können motivierende Smartphone-Apps, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) und modifizierte Insulinpens (Smart-Pens) gerade bei Menschen mit Typ-2-Diabetes sinnvoll eingesetzt werden.

In Übereinstimmung mit den Ergebnissen einer Metaanalyse [Hou 2016] kann der Schluss gezogen werden, dass Smartphone-Anwendungen als Hilfsmittel zum Verbessern des HbA1c-Werts in Betracht gezogen werden können, doch müssen Akzeptanz und Funktionalität mit der digitalen Kompetenz der Menschen übereinstimmen.

In Deutschland sind DiGAs dauerhaft verordnungsfähig, wenn sie zeigen konnten, dass Menschen von diesen Apps profitieren. Die erste DiGA im Bereich des Diabetes mellitus heißt ESYSTA und beschäftigt sich damit, das Selbst-Management von Menschen mit Diabetes mellitus und einer Insulintherapie zu unterstützen. Jüngst wurde eine zweite DiGA im Dezember 2021 zugelassen, die bei Diabetes mellitus und Depressionen unterstützen soll („­HelloBetter Diabetes und Depression“).

Smart-Pens

Insulinpens sind die häufigste bei Menschen mit Typ-2-Diabetes eingesetzte Methode der Insulin-­Gabe. Dies ist zwar eine bequeme Methode, aber die Notwendigkeit der manuellen Aufzeichnung von Blutzucker-Messwerten und die fehlende Verbindung zu einem digitalen Ökosystem machen es für medizinisches Fachpersonal und Anwender schwierig, Glukose-­Profile zu interpretieren oder die Therapie-Treue zu bewerten. Die Fortschritte in der Entwicklung von Insulinpens in den letzten Jahren haben zu zusätzlichen Speicher­funk­tionen geführt, die in der Lage sind, gegebene Insulin-Dosen auf Online-Plattformen zu verfolgen. Diese „Memory“-Funktionen sind besonders hilfreich für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen oder für Menschen, die sich weniger mit dem Diabetes-Management beschäftigen.

Bluetooth-fähige Insulinpen-Kappen oder Insulinpens, die mit Smartphone-Apps verbunden werden, ermöglichen es den Benutzern, je nach Modell, Insulin-Gaben zu verfolgen, das verbleibende Insulin zu berechnen, die Insulin-­Temperatur zu überwachen und Dosierungs-Empfehlungen zu erhalten [Sangave 2019]. Die Kombination mit CGM-Daten kann dahingehend genutzt werden, dass medizinisches Fachpersonal zusammen mit den Menschen mit Diabetes z. B. im Rahmen des Telemonitorings die Insulin-Therapie sinnvoll anpassen und verändern kann.

Studien haben gezeigt, dass Menschen mit einer geringeren Adhärenz bei der Insulin-­Dosie­rung auch eine schlechtere glykämische Kontrolle aufweisen können [Munshi 2019]. Smart-Pens könnten daher dafür sorgen, dass notwendige Verhaltensänderungen bei der Insulin-Therapie erkannt werden und daher im Rahmen der Schulung auch umgesetzt werden können. Studien bei Menschen mit Typ-1-Diabetes konnten zeigen, dass Smart-Pens die Therapie-Treue verbessern können und sich dadurch die Glukose-Stoff­wechsel­lage verbessern kann [Adolfsson 2020]. Leider liegen bisher keine Studien zum Typ-2-Diabetes vor, auch fehlen bisher Studien hinsichtlich der Auswirkungen der Smart-Pens auf die Lebensqualität.

Video-Sprechstunden (Telemedizin)

Video-Sprechstunden können dazu führen, dass Glukose-Stoffwechsellagen schnell gemeinsam von Diabetes-Teams und Menschen mit Diabetes beurteilt werden können. Weitere Perspektiven der Telemedizin liegen in der Versorgung von spezifischen Patientengruppen. Durch das Überwinden der räumlichen Distanz bietet die Telemedizin einen Angriffspunkt, mögliche Versorgungslücken zu schließen. Dies ist hauptsachlich für Menschen relevant, die aufgrund ihres Wohnorts nicht in der Lage sind, Teil einer flächendeckenden und/oder wohnortnahen Versorgung zu sein. Zusätzlich können ältere Menschen, mit ggf. bereits Einbußen in ihrer Mobilität, in der Theorie besser versorgt werden. Dies setzt voraus, dass sie in der Lage sind, die Technik zu bedienen oder Angehörige ihnen in diesem Schritt behilflich sind. Zeitgleich können telemedizinische Methoden, wie das Telemonitoring, auch präventiv eingesetzt werden [Budych 2013]. So kann der Gesundheitszustand der Menschen kontinuierlich überwacht werden, unabhängig davon, ob sie sich vor Ort befinden oder zuhause sind. Dadurch können Risiken minimiert und ernstere Gefahren rechtzeitig erkannt werden [van den Berg 2015].

Wer für neue ­Systeme bereit und offen ist, kann wunderbar von den neuen Möglichkeiten profitieren.

Kein Allheilmittel

Man sollte sich also mit den neuesten Systemen beschäftigen, wenn man sein Diabetes-Manage­ment optimieren möchte oder sogar muss. Aber es sollte einem bewusst sein, dass die neuen Systeme auch kein sofortiges Allheilmittel sind. Wer dafür bereit und offen ist, kann wunderbar von den neuen Möglichkeiten profitieren. Technologie kann Hoffnung geben, sie kann sich im besten Fall anfühlen wie eine Art Heilung bei Menschen mit Typ-1-Diabetes. Sie kann das Leben mit Diabetes vereinfachen, ein Stück weit normalisieren. Den aktuellen Hybrid-­Closed-Loop- und Advanced-Hybrid-­Closed-Loop-Systemen wurde von Menschen mit Typ-1-Diabetes so lange entgegengefiebert und das nicht ohne Grund. Aber das Nutzen der neuesten verfügbaren Technologie bedeutet auch immer, dass sich die Menschen mit Diabetes etwas Neuem stellen müssen, unabhängig davon, ob es ein Diabetes mellitus Typ 1 oder Typ 2 ist. Das heißt, dass das Inter­esse an der Technologie vorhanden sein muss sowie die Bereitwilligkeit, der Technik zu vertrauen und das eigene Diabetes-Management ein Stück weit abzugeben oder sinnvoll zu ergänzen. Man muss bereit sein, seine Diabetes-Therapie im Zweifelsfall komplett umzuwerfen und zu überdenken. Als Grundlage sind gute Schulungen und eine individuelle Behandlung und Betreuung durch eine Fachärztin oder einen Facharzt bzw. ein Diabetes-Team erforderlich.


Literatur:

  1. Adolfsson P, Hartvig NV, Kaas A, Møller JB, Hellman J: Increased time in range and fewer missed bolus injections after introduction of a smart connected insulin pen. Diabetes Technol Ther 2020; 22: 709 – 718
  2. Barnard KD, Pinsker JE, Oliver N, Astle A, Dassau E, Kerr D: Future artificial pancreas technology for type 1 diabetes: what do users want? Diabetes Technol Ther 2015; 17: 311 – 315
  3. Basu S, Yudkin JS, Kehlenbrink S, Davies JI, Wild SH, Lipska KJ, Sussman JB, Beran D: Estimation of global insulin use for type 2 diabetes, 2018 – 30: a microsimulation analysis. Lancet Diabetes Endocrinol 2019; 7: 25 – 33. Erratum in: Lancet Diabetes Endocrinol 2019; 7: e1
  4. Budych K, Carius-Düssel C, Schultz C, Helms TM, Schultz M, Dehm J, Zippel-Schultz B: Telemedizin: Wege zum Erfolg. Management von Innovationen im Gesundheitswesen. Kohlhammer, Stuttgart, 2013
  5. Cheng L, Sit JWH, Choi KC, Chair SY, Li X, Wu Y, Long J, Yang H: The effects of an empowerment-based self-management intervention on empowerment level, psychological distress, and quality of life in patients with poorly controlled type 2 diabetes: a randomized controlled trial. Int J Nurs Stud 2021; 116: 103407
  6. Emami A, Willinska ME, Thabit H, Leelarathna L, Hartnell S, Dellweg S, Benesch C, Mader JK, Holzer M, Kojzar H, Pieber TR, Arnolds S, Evans ML, Hovorka R: Behavioral patterns and associations with glucose control during 12-week ­randomized free-living clinical trial of day and night hybrid closed-loop insulin delivery in adults with type 1 diabetes. Diabetes Technol Ther 2017; 19: 433 – 437
  7. Gildersleeve R, Riggs SL, Cherñavvsky DR, Breton MD, DeBoer MD: Improving the safety and functio­nality of an artificial pancreas system for use in younger children: input from parents and physicians. Diabetes Technol Ther 2017; 19: 660 – 674
  8. Grunberger G, Sherr J, Allende M, Blevins T, Bode B, Handelsman Y, Hellman R, Lajara R, Roberts VL, Rodbard D, Stec C, Unger J: American Association of Clinical Endocrinology Clinical Practice Guideline: The use of advanced technology in the management of persons with diabetes mellitus. Endocr Pract 2021; 27: 505 – 537
  9. Hou C, Carter B, Hewitt J, Francisa T, Mayor S: Do mobile phone applications improve glycemic control (HbA1c) in the self-management of diabetes? A systematic review, meta-analysis, and ­GRADE of 14 randomized trials. Diabetes Care 2016; 39: 2089 – 2095
  10. Litchman ML, Allen NA: Real-time continuous glucose monitoring facilitates feelings of safety in older adults with type 1 diabetes: a qualitative ­study. J Diabetes Sci Technol 2017; 11: 988 – 999
  11. Munshi MN, Slyne C, Greenberg JM, Greaves T, Lee A, Carl S, Atakov-Castillo A, Toschi E: Nonadherence to insulin therapy detected by Bluetooth-­enabled pen cap is associated with poor glycemic control. Diabetes Care 2019; 42: 1129 – 1131
  12. Sangave NA, Aungst TD, Patel DK: Smart con­nected insulin pens, caps, and attachments: a review of the future of diabetes technology. Diabetes Spectr 2019; 32: 378 – 384
  13. Telo GH, Volkening LK, Butler DA, Laffel LM: Salient characteristics of youth with type 1 diabetes initiating continuous glucose monitoring. Diabetes Technol Ther 2015; 17: 373 – 378
  14. van den Berg N, Schmidt S, Stentzel U, Mühlan-Rehmer H, Hoffmann W: Telemedizinische Versorgungskonzepte in der regionalen Versorgung ländlicher Gebiete – Möglichkeiten, Einschränkungen, Perspektiven. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz 2015; 58: 367 – 373

Autor:

Lisa Schütte
Waldstraße 3, 31655 Stadthagen

Dr. Jens Kröger
Zentrum für digitale Diabetologie Hamburg, Mönckebergstraße 5, Haus E, 20095 Hamburg

Dr. Katrin Kraatz
Verlag Kirchheim + Co GmbH, Wilhelm-Theodor-Römheld-Straße 14, 55130 Mainz