Prof. Dr. Bernhard Kulzer, Dr. Jens Kröger

Digitale Prävention

Digitale Präventionsstrategien können eine bislang wenig umgesetzte ­Option zur Verbesserung der Prävention des Typ-2-Diabetes sein – gerade angesichts der Tatsache, dass in Deutschland eine „Nationale Diabetes-Strategie“ bisher ­gescheitert ist.

Trotz steigender Zahlen des Typ-2-Diabetes ist derzeit in Deutschland eher kein koordiniertes Vorgehen zur Prävention des Typ-2-Diabetes zu erkennen. Bemühungen, diesen Zustand durch eine „Nationale Diabetes-Strategie“ zu verbessern, die einen starken Fokus auf die Prävention des Typ-2-Diabetes hat, sind im Jahr 2019 trotz entsprechender Absichtserklärungen im Koalitionsvertrag der Bundesregierung leider gescheitert. Angesichts der großen Zahl potenzieller Adressaten von Maßnahmen zur Risikokommunikation, Risikobestimmung, Früh­erkennung sowie Interventionen im Bereich der Verhaltens- und Verhältnisprävention können digitale Präventionsstrategien eine hoffnungsvolle, leider allerdings bislang wenig umgesetzte Option zur Verbesserung der Prävention des Typ-2-Dia­betes sein.

Aktuelle Studie prognostiziert ­deutliche Zunahme des Typ-2-Diabetes

Wie drängend Maßnahmen zur Prävention des Typ-2-Diabetes sind, zeigen die Ergebnisse einer aktuellen Studie des Deutschen Diabetes-Zentrums (DDZ) und des Robert Koch-Instituts (RKI) [Tönnies 2019]. Auf Basis der Daten von rund 65 Mio. gesetzlich Versicherten in Deutschland und des Statistischen Bundesamts prognostizieren die Wissenschaftler für den Zeitraum von 2015 bis 2040 einen deutlichen Anstieg der Diabeteserkrankungen um bis zu 77 %. In der Prognose wurden auch die aktuellen Entwicklungen einbezogen hinsichtlich neu auftretender Fälle, einer steigenden Lebenserwartung und abnehmender Mortalitätsrate aufgrund des medizinischen Fortschritts. Danach ergibt sich für den Zeitraum von 2015 bis 2040 eine relative Zunahme der Typ-2-Diabetes-Fälle um 54 % (+3,8 Mio. Fälle) bis 77 % (+5,4 Mio. Fälle). Dies bedeutet, dass in ca. 20 Jahren 10,7 bis 12,3 Mio. Menschen an Diabetes erkrankt sind. Besonders stark wird die Zahl der älteren Menschen mit Typ-2-Diabetes zunehmen.

In einer weiteren Arbeit wurde eine Prognose unter der Annahme modelliert, dass wie im finnischen Diabetes-Präventionsprogramm oder dem aktuell fast flächendeckend umgesetzten Präventionsprogramm in England 50 % der Personen mit einem Prädiabetes erfolgreich und dauerhaft an Maßnahmen zur besseren Ernährung und Gewichtsreduktion teilnehmen würden. Von den prognostizierten Zuwächsen könnten allein bis 2030 etwa 400.000 Diabetes-­Fälle verhindert werden – bei einer Beteiligung von 90 % derer mit Prädiabetes sogar 1 Mio. Diabetesfälle. Eine aktuelle Metaanalyse [Uusitupa 2019] kam erneut zu dem Schluss, dass Typ-2-Diabetes durch eine Änderung des Lebensstils verhinderbar ist und die Risikominderung nach der aktiven Intervention viele Jahre lang anhält. Eine Ernährungsumstellung und gesteigerte körperliche Aktivität sind für die langfristige Prävention von Diabetes empfehlenswert.

Wissen über Prävention

Bei Patienten und auch bei Ärzten ist das Wissen über das Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes wie auch über die Interventionsmöglichkeiten nicht ausreichend. Eine bundesweite repräsentative Befragung des Robert Koch-Instituts zeigte, dass, obwohl ca. 13 Mio. Bundesbürger (20,8 % der 18- bis 79-Jährigen) bereits einen Prädiabetes aufweisen, diese ein viel zu geringes Wissen über ihr Diabetesrisiko haben und das Risiko dramatisch unterschätzen. Auch Ärzte haben ein deutlich zu geringes Wissen über die evidenzbasierten Empfehlungen und Möglichkeiten der Diabetes­prävention.

Wissenslücken bei Allgemeinärzten

Eine repräsentative Untersuchung bei Allgemeinärzten [Tseng 2019] ergab deutliche Wissenslücken bezüglich der Risikofaktoren des Typ-2-Diabetes und Behandlungsempfehlungen. Nur 36 % der Befragten würden bei Risikopatienten initial eine Maßnahme zur Lebensstilintervention empfehlen – ein klassischer Fall von „clinical inertia“. Die Ärzte empfahlen als eine wichtige Maßnahme zur Prävention des Typ-2-Diabetes einen leichteren und besser koordinierten Zugang zu Diabetes-Präventionsprogrammen.

Auch eine aktuelle Befragung von Medizinstudenten [Khan 2019] zeigte, dass beim Thema „Diabetesprävention“ gravierende Wissenslücken bestehen. Weniger als 50 % wussten elementare Grundlagen der Prävention des Typ-2-Diabetes.

Digitale Formen von Risikorechnern

Für Patienten bietet sich die Integration digitaler Formen von Risikorechnern in die elektronische Gesundheitskarte (ePA) an – zur Bestimmung des persönlichen Risikos für Typ-2-Diabetes und zur Steigerung des Wissensstands über Prävention. Je nach Ergebnis könnten dann differenzierte Informationen zu entsprechenden Maßnahmen der Diabetesprävention erfolgen. Auch könnten (z. B. von Krankenkassen) Personen mit einem erhöhten Risiko gezielt auf digitalem Weg Informationen zur Prävention des Typ-2-Diabetes bekommen – neben allgemeinen Maßnahmen zur Steigerung des Wissensstands bezüglich der Prävention. Auch die aktuell geplante „Nationale Aufklärungs- und Kommunikationsstrategie zu Diabetes mellitus“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung prüft, ob nicht gezielt mithilfe von Social-­Media-Kampagnen der Wissensstand der Bevölkerung über Prädiabetes und Diabetes erhöht werden könnte.

Präventionsempfehlungen in Experten­systeme

Bei Ärzten sollten die Empfehlungen zur Typ-2-­Diabetes-Prävention sowie das Screening von Risikopersonen in die Praxis- oder Krankenhaussoftware bzw. Expertensysteme integriert sein. Eine Initiative kanadischer Kinderdiabetologen zeigte mit dem „iSCREEN Electronic Dia­betes Dashboard“, dass es mit einfachen Mitteln gelingen kann, wissenschaftliche Leitlinien und Empfehlungen erfolgreich in die klinische Praxis zu übertragen. Im Rahmen ihrer Präventionskampagne „NHS Diabetes Prevention Programme“ (NHS DPP) entwickelte der National Health Service (NHS) in England gemeinsam mit dem „Royal College of General Practitioners“ ein E-Modul (https://elearning.rcgp.org.uk/course), das Allgemein­ärzte über Präventions­möglichkeiten bei Typ-2-Dia­be­tes informiert.

Risikopersonen digital identifizieren

Für erfolgreiche Präventionsstrategien ist es wichtig, das Risiko für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes zu identifizieren. Zum einen hat natürlich jeder Bürger das Recht, über mögliche Krankheitsrisiken informiert zu werden, um selbst zu entscheiden, welche Schlussfolgerungen für das eigene Leben getroffen werden. Zum anderen zeigen Studien zur Effektivität von Maßnahmen der primären Prävention, dass diese besonders bei Personen mit Prädiabetes effizient sind.

Zunehmend werden Methoden der künstlichen Intelligenz angewandt, um das Diabetesrisiko zu bestimmen: Eine kanadische Arbeitsgruppe [Perveen 2019] entwickelte anhand der haus­ärztlichen Routinedatensätze von 172.168 Personen mithilfe der KI-Technik „Hidden Markov Model“ (HMM) ein Vorhersagemodell für das Dia­betesrisiko innerhalb der nächsten 8 Jahre. Dieses beruht auf den Variablen Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index, Blutdruck, Nüchternblutzucker, HDL-Cholesterin und Triglyzeride. Die Variable „hereditäre Diabetesbelastung“ war aus den Akten nicht ersichtlich, würde aber die Vorhersage laut den Autoren weiter erhöhen. Es zeigte sich, dass das Modell eine bessere Vorhersagewahrscheinlichkeit hat als das etablierte „Framingham Diabetes Risk Scoring Model“ (FDRSM).

Von einer neuseeländischen Gruppe [Nguyen 2019] wurde ebenfalls mithilfe von KI („Neuronales Feed-Forward-Netzwerk“) ein Vorhersagemodell für das Auftreten des Typ-2-Diabetes entwickelt, welches mit einer Spezifität von 90 % und einer Sensitivität von 77 % relativ gute Testgütekriterien aufweist.

Typ-2-Diabetes-Vorhersage: Vergleich der KI-Systeme

Verschiedene Methoden der KI zur Vorhersage des Typ-2-Diabetes wurden von unterschiedlichen Arbeitsgruppen miteinander verglichen. Auf der Basis eines Datensatzes von 68.994 Personen kam eine chinesische Arbeitsgruppe [Zou 2018] zu dem Ergebnis, dass die Methode des „Random Forest“ das beste Ergebnis erzielte. [Li et al. 2018] verglichen ebenfalls verschiedene Methoden des Maschinenlernens und erreichten mit dem „AdaBoost algorithm“ eine gute Vorhersage (Fläche unter der ROC-Kurve (Area under the Curve, AUC) 0,98). Die wesentlichen 3 Faktoren für die Vorhersage waren das Alter, das Körpergewicht und der Nüchternblutzucker.

Neben den klassischen Risikotests – dem oralen Glukosetoleranztest (OGGT) und Blutuntersuchungen (Nüchternblutzucker, HbA1c-Wert) – bietet sich die Auswertung von Glukoseprofilen als Screening-Methode an, die mit den verschiedenen Methoden des kontinuierlichen Glukosemonitorings (CGM) gemessen werden. Die Arbeitsgruppe um Acciaroli et al. [2018] untersuchte CGM-Profile von Stoffwechselgesunden, Personen mit einer gestörten Glukosetoleranz (IGT) und mit einem manifesten Typ-2-Dia­betes: Es stellte sich heraus, dass vor allem das Ausmaß der Glukosevariabilität (GV) eine Unterscheidung der 3 Gruppen möglich machte und die alleinige GV-Betrachtung eine Genauigkeit von beachtlichen 86,6 % erbrachte.

Virtueller Arzt stellt Diagnose

Einen ganz anderen Weg schlug eine deutsche Arbeitsgruppe aus Marburg, Straubing und Magdeburg ein [Säning 2019], die mithilfe von KI („Deep Neural Networks“ (DNNs), „Support-Vector Machines“ (SVMs)) einen „virtuellen Arzt“ für die Patienten entwickelten, sodass diese selbst eine mögliche Diagnose eines Typ-2-Diabetes stellen können. Dies ist angesichts von ca. 2 Mio. Menschen in Deutschland, die bisher keine Kenntnis ihrer Diagnose haben, sicher ein wichtiger Ansatz. Die Patienten werden aufgefordert, sich auf eine Waage zu stellen und im Sprachmodus Fragen zu Geschlecht, Alkoholkonsum und Nikotinstatus zu beantworten. Bei einem erhöhten Score werden sie aufgefordert, beim Arzt eine mögliche Dia­gnose des Typ-2-Diabetes verifizieren zu lassen. Der Algorithmus wurde anhand der Daten der ­Nixdorf Recall Study (n = 4 814) trainiert und erreicht eine zufriedenstellende Testgüte.

Die Erkennung von Personen mit einem erhöhten Risiko für Typ-2-Diabetes kann aber auch in ganz anderen Settings wie z. B. beim Zahnarzt stattfinden. Eine amerikanische Arbeitsgruppe [Acharya 2018] untersuchte, ob mit den Angaben von Health Records des Zahnarztes eine Risikoerkennung stattfinden kann: Mit einem Modell, das die Angaben aus der bestehenden elektronischen Dokumentation des Zahnarztes übernahm, konnte eine Sensitivität von 0,70 und eine Spezifität von 0,62 erreicht werden – mit den Prädiktoren Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft, Gewicht, Hypertonie, Hyperlipidämie, Rauchstatus, Anzahl der fehlenden Zähne, Prozentsatz der Zähne mit einer Krone. Mit der Hinzunahme anderer medizinischer Parameter erhöht sich die Screening-Eigenschaft.

Digitale Interventionen zur ­Lebensstiländerung

Während lange Zeit global relativ wenige strukturierte Programme zur Lebensstilmodifikation bei Personen mit einem erhöhten Risiko umgesetzt wurden, gibt es mittlerweile eine kaum mehr überschaubare Anzahl strukturierter Programme, die unter Praxisbedingungen evaluiert und in ganz unterschiedlichen Settings eingesetzt werden:

In England wird das weltweit ambitionierteste Präventionsprogramm (NHS-DPP) umgesetzt (NHS 2019). Bislang wurden von der Teilnehmerbeteiligung und von den ersten Evaluationsergebnissen die Modell­an­nahmen des Programms übertroffen. Seit 2016 wurde in einem zusätzlichen Modellprojekt, an dem über 5.000 Personen teilnahmen, geprüft, ob mit einem digitalen Präventionsprogramm ähnliche Ergebnisse wie in den Präsenzkursen erreicht werden können. Die Teilnehmer erhalten eine App, die den Benutzern den Zugriff auf die Kursinhalte und die Kommunikation mit dem Gesundheits-Coach (Blended Learning) ermöglichen, den Zugang zu Online-Peer-Support-Gruppen, ein Monitor- und Zielerreichungstool sowie Wearables zur Erfassung und zum Monitoring der körperlichen Bewegung. Ca. 50 bis 70 % der Teilnehmer begrüßen diese zusätzliche Option. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer am digitalen Programm lag bei 58 Jahren und damit unter dem Alter derjenigen, die eine persönliche Intervention (64 Jahre) vorziehen. 16 % der Teilnehmer an dem digitalen Kurs waren zwischen 18 und 44 Jahre alt (Teilnehmer traditioneller Gruppenprogramme: 7 %). Zukünftig wird ca. ein Fünftel aller Präventionskurse, die pro Jahr in England umgesetzt werden, digital stattfinden. Insgesamt werden damit ab 2020 pro Jahr ca. 40.000 Personen an einem digitalen Präventionskurs zur Reduktion des Diabetesrisikos teilnehmen.

In England wird das ­ambitionierteste Typ-2-­Diabetes-Präventionsprogramm umgesetzt: Jährlich nutzen 40 000 Personen digitale Präventionskurse.

Ähnlich wie in England werden auch in vielen anderen Ländern die Inhalte der großen Präventionsstudien DDP oder DPS digital umgesetzt, sodass die Teilnehmer einen 24/7-Zugang zu den Kursinhalten und dem Online-Coaching haben. Deutschland ist hier eher Nachzügler, da sowohl für Präsenzkurse wie auch für digitale Angebote hier weitgehend die Rahmenbedingungen fehlen. In Belgien hat z. B. die Autorengruppe um Poppe et al. [2019] erfolgreich ein digitales mHealth-Programm „­MyPlan 2.0“ evaluiert, eine kanadische Gruppe um Alwashmi [2019] das Programm „Transform“ – und eine japanische Gruppe um Yamaguchi et al. [2019] entwickelte erfolgreich das Programm „GlucoNote“, welches Apples ResearchKit benutzte. „DMagic“ ist ein Programm mit Textnachrichten, das erfolgreich in den ländlichen Gegenden von Bangladesch evaluiert wurde, ebenfalls wurde ein sehr einfaches Programm mit Textnachrichten in New York in Harlem bei sozial deprivierten Personen erfolgreich implementiert.

Mit „DIP“ gibt es mittlerweile von der Deutschen Diabetes-Stiftung auch eine multifunktionale App zur Diabetesprävention, die momentan den Teilnehmern des Innovationsfonds-Projektes Dimini (www.dimini.org) zur Verfügung gestellt wird. Die Hauptfunktionen der App liegen im Bereich Ernährung und Bewegung sowie im Tracking des Gewichts. Auch ein KI-basierter Ernährungs-Coach („Whisk“), der Menschen mit Diabetes personalisierte Essensempfehlungen gibt, basierend auf individuellen Geschmackspräferenzen, ist in Deutschland verfügbar. Bei den Empfehlungen werden persönliche Präferenzen berücksichtigt wie bestimmte Diätvorlieben, Allergien, zeitliche oder finanzielle Beschränkungen. Auch Glukosedaten können in die aktuellen Essensempfehlungen integriert werden.

Digitalisierung auch bei Älteren

Digitale Präventionsprogramme sind auch bei älteren Personen wirksam: Eine Studie mit 1.121 übergewichtigen Erwachsenen über 65 Jahre [Chen 2016] konnte zeigen, dass mit einem digitalen Coaching-Programm zur Lebensstilintervention bei Personen mit einem erhöhten Dia­be­tes­risiko die meisten Personen abnahmen (6,8 % des Body-Mass-Index). Insgesamt können mit diesem digitalen Präventionsprogramm im Verlauf von 10 Jahren pro Person 11.550 bis 14.200 Dollar an direkten Gesundheitskosten eingespart werden.

Erste Ergebnisse mit Apps ohne jeden Kontakt mit Coaches zeigen eher enttäuschende Ergebnisse, da für die Etablierung einer Verhaltens­änderung besonders in der Stabilisierungsphase ein persönlicher Kontakt über einen digitalen Coach hilfreich ist.

Insgesamt sind die Ergebnisse für digitale Programme zur Verhaltensprävention eher ermutigend [Bian 2017] und eine Option zur Prävention des Typ-2-Diabetes. In den letzten Jahren ist eine stetige Zunahme digitaler Programme zu verzeichnen [Kaufmann 2018]. Damit können auch Personen erreicht werden, die entweder wenig Zeit und/oder eine weite Entfernung zu einem Präsenzkurs haben oder diese Form der Unterstützung schätzen.

Digitale Verhältnisprävention

Bei der Entstehung und Aufrechterhaltung ungesunder Lebensweisen und des Typ-2-Diabetes sind Umweltfaktoren entscheidend beteiligt. Interventionen im Rahmen der Verhältnisprävention berücksichtigen auch andere Faktoren, die die Gesundheit beeinflussen können, wie die Lebens-, Arbeits- und Wohnverhältnisse. Auswertungen von Routinedaten der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) sowie populationsbezogene Studien weisen auf deutliche geografische Unterschiede in der Prävalenz des Typ-2-Diabetes innerhalb Deutschlands hin. Die alters- und geschlechtsstandardisierte Prävalenz im Osten Deutschlands ist mit 11,6 % deutlich höher als in Westdeutschland (8,9 %), wofür vor allem soziale Gründe und Umweltfaktoren verantwortlich gemacht werden. In Gemeinden mit der höchsten strukturellen Benachteiligung im Vergleich zu sozio­ökonomisch gut gestellten Gemeinden konnten Rathmann et al. in dem Diab-Core-Projekt des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) feststellen, dass Typ-2-Dia­betes unabhängig vom individuellen sozialen Status der Einwohner mehr als doppelt so häufig auftritt.

Für die Planung von Präventionsstrategien ist es wichtig, diese diabetogenen (und oft auch adipogenen) Umgebungsvariablen identifizieren, wie z. B. ein bewegungsunfreundliches Wohn­umfeld, Luftschadstoffe, Lärm, Fast-Food-Angebote etc. Die Arbeitsgruppe um Präger et al. [2019] vom Helmholtz Zentrum München versucht mit der Technik des „Online Geocoding Services“ von Google Maps and OpenStreetMap (OSM) Datenpunkte zu identifizieren, die aus der Literatur als wichtige Umweltvariablen bekannt sind. Dies kann dazu beitragen, dass Regionen identifiziert werden können, in denen ein erhöhtes Diabetesrisiko mit konkreten negativen Umweltfaktoren in Zusammenhang steht, was für die Planung gesunder Städte und Gemeinden wichtig ist. Das von der WHO entworfene „Urban Diabetes Risk Assessment“, welches einen Algorithmus aus verschiedenen diabetogenen Bereichen erstellt, kann hier ebenfalls hilfreich sein.


Quellen:

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Autoren:

Prof. Dr. Bernhard Kulzer
Forschungsinstitut Diabetes-Akademie Bad Mergentheim (FIDAM), Diabetes Zentrum Mergentheim, Johann-Hammer-Straße 24, 97980 Bad Mergentheim

Dr. Jens Kröger
Zentrum für Diabetologie Bergedorf, Glindersweg 80, Haus E, 21029 Hamburg